Was ist sexualisierte Gewalt?

Definition

Der Begriff „sexualisierte Gewalt“ meint körperliche oder psychische Grenzüberschreitungen, die die Intimsphäre eines Menschen verletzen. Fast immer handelt es sich dabei um die Ausnutzung eines Machtgefälles aufgrund von Geschlecht, Alter, körperlicher Überlegenheit, Herkunft oder sozialem Status. Dabei verfügt die überlegene Person über die größere Macht oder Autorität, entweder mit Belohnung (emotionaler Zuneigung und/ oder Geschenken) oder mit Bestrafung (Androhung oder Einsatz von physischer und psychischer Gewalt) auf die andere Person einzuwirken. Im Mittelpunkt steht meist die Befriedigung eigener Machtbedürfnisse, z.B. sich auf Kosten anderer aufzuwerten. Dazu werden sexuelle Handlungen als Methode genutzt, weniger geht es um ein vordringliches sexuelles Verlangen.

Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) fasst unter dem Begriff „sexualisierte Gewalt“ alle sexuellen Handlungen zusammen,

  • die gemäß dem 13. Abschnitt des Strafgesetzbuchs (gem. §§ 174 ff. StGB Sexueller Missbrauch etc.) strafbar sind,
  • alle Handlungen, die unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit liegen, aber die im pastoralen oder erzieherischen sowie im betreuenden oder pflegerischen Umgang mit Kindern und Jugendlichen eine Grenzüberschreitung darstellen.

Unterscheidung

Bei der Frage, was sexualisierte Gewalt ausmacht, nimmt die DBK die sehr hilfreiche Unterscheidung auf von

Charakteristika bei sexualisierter Gewalt

Kinder können nie zustimmen! Die Verantwortung für die Tat liegt immer beim Täter oder der Täterin.

Viele Täter und Täterinnen behaupten im Nachhinein, dass die Kinder und Jugendlichen, die sie missbraucht haben, „es auch gewollt haben“. Sexuell motivierte Gewalthandlungen beeinträchtigen und schädigen das Kind oder den Jugendlichen in ihrer eigenen sexuellen Entwicklung. Sie können aufgrund ihres Alters und ihres Entwicklungsstands nicht einschätzen, was Erwachsene mit ihren Handlungen bezwecken. Sie können demnach auch nie bewusst und verantwortlich zustimmen oder einverstanden sein. Die ältere Person nutzt die körperliche und geistige Unterlegenheit des Kindes bewusst aus, um damit seine eigenen Bedürfnisse auf Kosten der Kinder oder Jugendlichen zu befriedigen. Von daher liegt die Verantwortung immer beim Täter!

Täter und Täterinnen nutzen ihre Macht aus.

Bei der Ausübung sexualisierter Gewalt handelt es sich immer auch um eine Ausnutzung einer Machtposition. Diese kann aus Gründen des Alters, des Geschlechts, der Herkunft, des sozialen Status, körperlicher Überlegenheit oder formaler Position (z.B. als Lehrer oder Gruppenleiterin) zustande kommen. Diese Macht oder Autorität ermöglicht den Tätern die Ausnutzung dieses Machtgefälles.

Täter und Täterinnen nutzen Vertrauen aus.

Nur äußerst selten (außer im Bereich der Grenzverletzungen) sind Fälle sexualisierter Gewalt zufällige und spontane Taten. In der überwiegenden Mehrzahl sind die Taten langfristig und strategisch geplant. Täter und Täterinnen missbrauchen oft dieselbe Person mehr-fach und zunehmend intensiver. Dabei werden insbesondere Situationen bewusst ausgenutzt, in denen die Kinder und Jugendlichen, gegen die sich ihre sexualisierten Gewalthandlungen richten, allein, unterlegen oder wehrlos sind und dabei nicht in der Lage sich selber aus der Situation zu befreien. Dazu kommt, dass die Täterinnen und Täter ihr Opfer häufig einschüchtern und die „Schuld“ für die Tat den Betroffenen zuschieben. Damit wollen Sie verhindern, dass die Tat bekannt wird.

Die Verantwortung für den Schutz von Mädchen und Jungen, jungen Frauen und Männern liegt deshalb bei den Erwachsenen.

Die meisten betroffenen Kinder- und Jugendlichen sind aufgrund des häufigen Abhängigkeitsverhältnisses und der `mächtigen` Position des Täters oder der Täterin nicht in der Lage, allein ihre erlebte sexualisierte Gewalt zu beenden oder sich eigenständig Hilfe zu holen. Weiter erschwerend kommen häufig eigene Scham- und Schuldgefühle des/der Betroffenen und oftmals ein bestehendes Vertrauensverhältnis zum Täter bzw. zur Täterin hinzu.

Unsere Verpflichtung zum Hinschauen

Daher sind wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unseren Einrichtungen und Angeboten zum Hinschauen und zur Hilfe für Kinder und Jugendliche verpflichtet! Täterinnen und Täter suchen sich in der Regel ihr Umfeld für die geplante Tat sehr genau aus. Sie testen ihr Umfeld und wollen sicher sein, dass ihre Kolleginnen und Kollegen und ihr Umfeld nicht merken, was sie vorhaben. Oft jedoch gibt es Hinweise oder Verhaltensweisen, die zunächst als komisch wahrgenommen werden oder ein „ungutes Gefühl“ hinterlassen. Nehmen Sie dieses Gefühl ernst! Ignoranz gegenüber Hinweisen und bewusstes Wegschauen ermöglichen Taten!

Grenzverletzungen

Der Begriff „Grenzverletzung“ umschreibt ein einmaliges oder gelegentliches unangemessenes Verhalten, das nicht selten unbeabsichtigt geschieht. Dabei ist die Unangemessenheit des Verhaltens nicht nur von objektiven Kriterien, sondern auch vom subjektiven Erleben des betroffenen jungen Menschen abhängig. Grenzverletzungen sind häufig die Folge fachlicher bzw. persönlicher Unzulänglichkeiten einzelner Personen oder eines Mangels an konkreten Regeln und Strukturen.

Beispiele:

  • eine nicht gewollte Umarmung
  • die unbedachte Verwendung von Kosenamen wie „Schatz“ oder „Süßer“
  • eine versehentliche unangenehme Berührung
  • eine unbedachte verletzende Bemerkung
  • unerwünschtes Betreten eines Zimmers oder des Waschraum
  • unbedachtes „Flirten“ mit teilnehmenden Kindern oder Jugendlichen

Grenzverletzungen sind im alltäglichen Miteinander meist leicht korrigierbar, wenn sich die grenzverletzende Person

  • aufgrund der Reaktion eines betroffenen Mädchens oder Jungen oder durch Hinweise von Dritten der ausgeübten Grenzverletzung bewusst wird,
  • um Entschuldigung bittet und
  • sich bemüht, Grenzverletzungen in Zukunft zu vermeiden.

Sexuelle Übergriffe

Sexuelle Übergriffe passieren nicht zufällig, nicht aus Versehen, sondern mit Absicht. Das persönliche Empfinden der Betroffenen spielt bei der Einschätzung eines Übergriffs keine Rolle, entscheidend ist die hinter dem Übergriff liegende Absicht.

Übergriffe resultieren meist aus persönlichen und/oder fachlichen Defiziten. Abwehrende Reaktionen der betroffenen jungen Menschen werden bei Übergriffen ebenso missachtet wie Kritik von Dritten. In einigen Fällen sind sexuelle Übergriffe ein strategisches Vorgehen zur Vorbereitung strafrechtlich relevanter Formen sexualisierter Gewalt. Sie gehören zu den typischen Strategien, mit denen insbesondere erwachsene Täter testen, in wie weit sie ihre Opfer manipulieren und gefügig machen können.

Beispiele:

  • wiederholte, vermeintlich zufällige Berührung der Brust oder der Genitalien, z. B. bei Pflegehandlungen, bei Hilfestellungen im Sport oder bei diversen Spielen, (bei Wiederholungen kann nicht mehr von einer Absichtslosigkeit ausgegangen werden),
  • Hose runterziehen, Bikini öffnen, Grapschen
  • Abfällige Anmache, Beschimpfungen oder sexistische Bemerkungen
  • Voyeurismus („spannen“) oder anglotzen bis es unangenehm ist
  • Anleitung zu sexualisierten Spielen oder Mutproben wie z.B. Stripp-Poker oder Kleiderkette
  • Aufdringliche Nähe und intimes Ausfragen
  • Fotografieren beim Duschen, aufreizende Bilder oder Nacktaufnahmen zeigen, posten, mailen

In der pädagogischen oder pastoralen Arbeitet hilft als Reaktion auf einen sexuellen Übergriff der Dreischritt: Übergriff benennen - eindeutig ablehnende Position beziehen - Grenzen setzen.
Eine Entschuldigung alleine reicht bei einem sexuellen Übergriff nicht aus. Vielmehr muss die Leitung oder das Team deutlich machen, dass Übergriffe nicht geduldet werden und Konsequenzen haben, bis hin zu einem (befristeten) Ausschluss aus dem Team oder der Maßnahme, Personalgespräch, arbeitsrechtlicher Abmahnung oder Kündigung.

Strafrechtlich relevante Formen sexualisierter Gewalt

Zu den Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, insbesondere dem sexuellen Missbrauch an Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlene, gehören im Strafgesetzbuch (StGB) u.a.:

  • Kindern Pornografie zeigen
  • Exhibitionismus
  • Aufforderung zu Nacktaufnahmen vor der Webcam
  • Sexuelle Handlungen mit Schutzbefohlenen (z.B. Zungenkuss, Petting, …)
  • Sexuelle Belästigung durch Berührungen oder sexuell getöntes Bedrängen
  • Anfassen, anfassen lassen oder zeigen der Genitalien
  • Masturbation vor Täter/in oder vor dem Opfer
  • versuchte oder vollendete vaginale, anale oder orale Vergewaltigung
  • Aufnahme, Konsum oder Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen („Kinderpornographie“)

Bei Kindern unter 14 Jahren ist jede sexuelle Handlung strafbar, da aus alters- und entwicklungsbedingten Gründen grundsätzlich davon auszugehen ist, dass Kinder sexuellen Handlungen nicht zustimmen können. Dies bedeutet, dass ein Missbrauch auch dann vorliegt, selbst wenn ein Kind damit einverstanden wäre.

Die grundsätzliche Strafbarkeit gilt auch für sexuelle Handlungen mit Schutzbefohlenen, also denjenigen Kindern und Jugendlichen, die einem zur Betreuung, Förderung oder Erziehung anvertraut wurden und bei denen ein Abhängigkeitsverhältnis besteht. Die Ausnutzung dieser Abhängigkeit ist auch dann strafbar, wenn die Initiative von einem oder einer anvertrauten Jugendlichen ausgehen sollte.

Bei Unsicherheit in der Einschätzung, ob es sich bei einer Tat um eine Grenzverletzung, einen sexuellen Übergriff oder eine Straftat handelt, sollte man sich mit einer Vertrauensperson beraten oder einer Fachberatungsstelle einschalten, um angemessen reagieren zu können.

Kontakt

Burkhard Rooß
Präventionsbeauftragter des Erzbistums Berlin
Ahornallee 33, 14050 Berlin
Tel.: (030) 204 548 3-27
E-Mail: burkhard.rooss(ät)erzbistumberlin.de